Russisch-Japanischer Krieg 1904-05: Kampf um die Vorherrschaft in Asien

Russisch-Japanischer Krieg 1904-05: Kampf um die Vorherrschaft in Asien
Russisch-Japanischer Krieg 1904-05: Kampf um die Vorherrschaft in Asien
 
Infolge seiner Niederlage gegen Japan rückte China näher an Russland und schien geneigt, dessen imperialistische Ambitionen auf eine Art fernöstliches Kolonialreich zu übersehen. Anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten für Nikolaus II. schloss der chinesische Großkanzler Li Hongzhang am 22. Mai 1896 in Sankt Petersburg einen geheimen Bündnisvertrag. Der folgenreichste Passus dieses wenige Jahre später durch den Boxeraufstand hinfällig gewordenen Beistandspaktes beinhaltete die Erlaubnis zum Bau einer Eisenbahnlinie quer durch die Mandschurei. Des Weiteren diente die Verpachtung des erst kürzlich von den Japanern geräumten natürlichen Kriegshafens Port Arthur samt dem Hinterland der Halbinsel Liaodong an die Russen ebenfalls der Festigung des beiderseitigen Verhältnisses.
 
Obwohl Korea mittlerweile wirtschaftlich von seinem mächtigen japanischen Nachbarn abhängig war und die Japaner ungestört ihr Reformprogramm durchsetzen konnten, versuchte die russische Führung ihre Visionen von einem großrussischen Kolonialreich zu verwirklichen. Die Mandschurei und Korea sollten als imperialistische Einflusssphäre fortan dem zaristischen Russland zu einer Machtposition auch im Pazifik verhelfen. Die Vorstellung vom Zarenreich als Weltmacht von den Gestaden des Atlantik bis hin zu den Küsten des Pazifik diente in dem vom Fieber der Industrialisierung erfassten Russischen Reich ebenfalls als eine sozialimperialistische Devise, um von den manifesten inneren Gegensätzen und der Unbeweglichkeit des autokratischen Systems abzulenken. Wie die japanische Oligarchie, die unter einem ähnlichen sozialen Druck stand, wusste auch die russische Führung den Krieg als Mittel zur innenpolitischen Befriedung zu nutzen oder, wie es der damalige russische Innenminister offenherzig formulierte: »Wir brauchen einen kleinen, siegreichen Krieg, um die Flutwelle der Revolution aufzuhalten.« Doch weder geriet der Krieg mit Japan kurz, noch endete er siegreich, und statt die Revolution einzudämmen, sollte er ihr die Schleusentore öffnen.
 
Seit der gemeinsamen Intervention der imperialistischen Mächte gegen die rebellierenden Boxer in China im Jahr 1900 standen russische Verbände in der Mandschurei. Als die zaristische Regierung 1903 keine Anstalten machte, die in den Boxerprotokollen vereinbarte Räumung der Mandschurei zu vollziehen, standen in Sankt Petersburg wie in Tokio die Zeichen auf Sturm. Halbherzig vorgebrachte Kompromissvorschläge des Westens, Korea in eine nördliche russische und eine südliche japanische Interessensphäre zu teilen oder doch nördlich des 39. Breitengrades zu neutralisieren, verhallten ungehört.
 
 Überfall auf Port Arthur
 
Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen überfielen japanische Streitkräfte im Morgengrauen des 9. Februar 1904 die im Hafen von Port Arthur liegenden Einheiten der russischen Fernostflotte. In der am 10. Februar übermittelten Kriegserklärung begründete Japan die Eröffnung von Feindseligkeiten mit der Notwendigkeit, die lebenswichtigen Interessen des japanischen Reiches in Korea schützen zu müssen. Eine dauerhafte Festsetzung Russlands in der Mandschurei gefährde den Frieden in der Region, den Japan nunmehr gezwungen sei, mit Waffengewalt wieder herzustellen.
 
Die Kampfhandlungen, mit massiven Aufgeboten an Streitkräften von beiden Seiten und mit äußerster Härte zu Wasser und zu Lande ausgetragen, wurden zum ersten modernen Krieg des 20. Jahrhunderts. Neunzehn Monate lang lieferten sich Russen und Japaner im Stellungskrieg bei der Belagerung von Port Arthur oder in beweglicher Kriegführung in der Mandschurei mit ihren Massenheeren blutige Gefechte. Der Einsatz neuer Waffen wie des Maschinengewehrs oder großkalibriger Festungsartillerie forderte bei einer Infanteriestrategie, die den Sturmangriff favorisierte, unglaubliche Opfer. Als Port Arthur kapitulierte, berauschte sich ganz Japan trotz der hohen Verluste an dem ersten großen Sieg über eine »weiße«, westliche Großmacht. Im zaristischen Russland öffnete die Niederlage den Weg in die Revolution, die nur drei Wochen nach dem Fall der Festung mit dem Sankt Petersburger »Blutsonntag« vom 22. Januar 1905 einsetzen sollte.
 
Das Kriegsgeschehen verlagerte sich im Jahr 1905 in die Weiten der Mandschurei, wo die beiden Massenheere von jeweils über 200000 Mann bei der strategisch wichtigen Stadt Mukden im Februar aufeinander trafen und trotz eines über zwei Wochen andauernden Kampfes sowie gewaltiger Verluste von annähernd 50 Prozent keine eindeutige Entscheidung herbeiführen konnten. Gedanken an einen Friedensschluss tauchten zunächst in Tokio auf, während der russische Zar sich von der Entsendung der Ostseeflotte nach Fernost eine wundersame Wendung des Kriegsgeschehens erhoffte.
 
 Der Untergang der russischen Flotte bei Tsushima
 
Doch gerade die hoch gerühmte baltische Flotte offenbarte den maroden Zustand des zaristischen Russland. Schlecht ausgerüstet, mit widerwilligen, oftmals revolutionär gesonnenen Landsoldaten bemannt, noch schlechter geführt und unzureichend versorgt, wurde die 34 Kampfschiffe umfassende Armada bei Tsushima in der Koreastraße von der weit unterlegenen japanischen Flotte unter der Führung des in Großbritannien ausgebildeten Admirals Tōgō Heihachirō wie bei einem Übungsschießen versenkt. Nur wenige Tage später nahm die russische Regierung das Vermittlungsangebot des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt an.
 
Alle drei Nationen, Japan, Russland und die USA, waren im Sommer 1905 an einer raschen und den Schaden begrenzenden Beilegung des Krieges interessiert. Trotz glänzender Siege war Japan am Ende seiner Kräfte. In Russland wiederum eskalierte die Revolution, die die Japaner mithilfe amerikanischer Gelder unterstützt hatten. Japanische Agenten hatten die Randvölker des russischen Großreiches, die Polen und die Finnen, in ihren Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt, amerikanische jüdische Bankhäuser wie Rothschild hatten der japanischen Seite großzügig Kredite gewährt. Die zaristische Autokratie sollte aus amerikanischer Sicht reformiert werden und vor allem der schutzlosen jüdischen Minderheit endlich einige Rechte einräumen. Doch an einem Zusammenbruch des russischen Kolosses in einer sozialistischen Revolution waren amerikanische Finanzkreise weniger interessiert, sodass sie den Präsidenten zum Handeln drängten. Die amerikanische Stellung in Ostasien, in dem Prinzip der offenen Tür manifest, konnte von einer erfolgreichen Vermittlung nur profitieren und die von den Russen wie Japanern zu räumenden Positionen in der Mandschurei und Nordchina informell — also wirtschaftlich — übernehmen.
 
 Der Friede von Portsmouth
 
Auf der Konferenz von Portsmouth in New Hampshire konnte Russland dank der Verhandlungsführung des russischen Delegationsleiters Sergej Graf Witte am 5. September 1905 einen milden Frieden erlangen. Nunmehr wurde Korea der japanischen Interessensphäre eindeutig zugeordnet. Die Mandschurei wurde zwar nicht gemäß dem Vertrag, jedoch de facto in ein nördliches, russisches Interessengebiet mit der ostchinesischen Trasse der Transsibirischen Bahn und in ein südliches, japanisch beherrschtes Territorium mit der südmandschurischen Bahnlinie von Harbin nach Port Arthur geteilt. Die Seefestung samt Hinterland ging ebenfalls in japanischen Besitz über wie die südliche Hälfte der Insel Sachalin. Auf Kriegsentschädigungen, von denen sich die Japaner eine rasche wirtschaftliche Gesundung versprochen hatten, musste die japanische Delegation auf Druck Roosevelts schließlich verzichten.
 
Als die Bestimmungen des Friedens von Portsmouth in Japan bekannt wurden, fühlte sich die von Siegesmeldungen verwöhnte japanische Öffentlichkeit um den Sieg betrogen. Nationalistische Kräfte forderten den Kaiser auf, den Vertrag zu widerrufen, und halfen ihrem Anliegen durch Großdemonstrationen und Gewalttätigkeiten nach. Die Verhängung des Kriegsrechts war nötig, um den Frieden in Japan durchzusetzen.
 
Doch trotz dieses nationalistischen Aufruhrs hat der große japanische Sieg sowohl das Land selbst als auch die internationale Situation verändert. Meiji-Japan stand innen- und außenpolitisch unangefochten im Zenit seiner neu erworbenen Machtfülle. Im Zeitraum von nur gut einer Generation hatte das Land sich von einem rückständigen Feudalstaat zur Führungsmacht in Ostasien entwickelt. Die Begeisterung der Kolonialvölker über den Sieg der »gelben« Japaner gegenüber den »weißen« Russen kannte keine Grenzen. Weltgeschichtlich begannen mit den Siegen des Sonnenbanners daher auch die Entkolonialisierung und Befreiung vom »weißen Mann«. Diese Befreiungsmission in Ostasien setzten die Japaner in der Zwischenkriegszeit fort, um ihre 1895 und 1905 errungenen Positionen zu einem japanisch beherrschten Großostasien auszubauen.
 
Prof. Dr. Bernd Martin
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Japan: Expansionskurs zum militärischen Staat
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Japan: Der Weg zur Großmacht
 
 
Beasley, William George: Japanese imperialism 1894-1945. Oxford 1987.
 Kindermann, Gottfried-Karl: Der Ferne Osten in der Weltpolitik des industriellen Zeitalters. München 1970.
 Lone, Stewart: Japan's first modern war. Army and society in the conflict with China, 1894-95. New York 1994.
 Westwood, John N.: Russia against Japan. 1904-05. A new look at the Russo-Japanese war. Basingstoke 1986. Nachdruck London 1990.
 Wippich, Rolf-Harald: Japan und die deutsche Fernostpolitik 1894-1898. Vom Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges bis zur Besetzung der Kiautschou-Bucht. Stuttgart 1987.

Universal-Lexikon. 2012.

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